14. April 2019 - zuletzt aktualisiert am 4. März 2021 Von Chris G. 0

Bestäubung der Obstbäume fördern

Wildbiene (Rostrote Mauerbiene?) auf Nashibirnenblüte

Die Bestäubung von Obstbäumen ist nicht nur von Blüten besuchenden Bienen und anderen Insekten abhängig. Weitere Faktoren wie Blütezeit und Temperatur oder die Anwesenheit von Befruchtersorten können wichtig sein.

Alte und neue Sorten
Bei meinen Rundgängen und Besuchen in anderen Gärten sehe ich neben alten Sorten auch immer mehr neuere Züchtungen von Obstbäumen. In kleineren Gärten und selbstverständlich auf Terrassen und in Vorgärten ist für alte Sorten meist kein Platz vorhanden und/oder der Gärtner traut sich den bei alten Sorten dringend notwendigen Formschnitt nicht zu. Neuere Sorten, allen voran die in Säulen- und Spalierform oder gar im Kübel, brauchen weit weniger Platz, doch dafür umso mehr gärtnerische Zuwendung. Die kommt nicht nur bei Wässerung und Düngung zum Tragen. Die Befruchtung, auf die man besonders in intakten Biotopen (sprich: größeren Gärten mit genügend Wildecken und Nistmöglichkeiten für Wildbienen) i.d.R. gar nicht achten muss, ist hier ein großes Thema. Weiterhin sind Fressfeinde der Schädlinge nur in intakten Biotopen ausreichend vorhanden, auf Terrasse und im kleinen Garten muss man selbst regulieren.

Kirschpflaume (sog. Myrobalane) mit mehrfarbigem Fruchtbehang

Sämlinge und Kultursorten
Alles in allem würde ich sagen, spielen alle Faktoren immer in ein Gesamtgleichgewicht hinein. Aus 10 Jahren praktischer Arbeit auf unserem ca. 8000m² großen Grundstück habe ich einiges gelernt.

  1. Sämlinge,
    also aus Kernen gezogene Bäume mit bekannter oder unbekannter Herkunft, sind meist vergleichsweise robust, besonders wenn sie im Boden am finalen Standort keimen, also nicht in speziellen Behältnissen oder an einem anderen Standort gezogen wurden. Sämlinge erreichen natürliche Größen mit ordentlich Platzbedarf, obwohl ich bisher sagen kann, dass auch starker Rückschnitt problemlos vertragen wird. In Heckenform also kein Problem!
    Leider bringen Sämlinge bei den Früchten recht unvorsehbare Ergebnisse. Darum sind sie wohl nur etwas für ambitionierte Privatgärtner mit genügend Platz, Liebhaber von Wildobsthecken und (professionelle) Sortenzüchter. Ich selbst lasse Sämlinge gern in Hecken stehen und setze auch gezielt Kerne in wilde Bereiche. Entweder ist es später halt “nur” Wildbepflanzung oder es kommt darüber hinaus sogar was Interessantes heraus. Dann kann ich immer noch über Stecklinge weiter vermehren. Auf diese spielerische Weise entstand so manche, heute altbekannte Obstsorte wie die Birne “Köstliche aus Charneu”. Aber auch bei Wildobst kann man viel Spaß haben. So trägt eine unserer Kirschpflaumen (Prunus cerasifera), mit denen ich schon einige wunderschöne Wildhecken- und Sträucher aufgebaut habe, Früchte, die über ihre Reifezeit die Farben wechseln: erst grün, nacheinander folgend dann gelb, gelb-rot, rot und zuletzt violett (siehe Foto). Da die bedingt leckeren Früchte nicht alle zeitgleich reifen, sieht es allerliebst aus und ist eine kleine Besonderheit, die ich per Steckling noch vermehren will.
    Bestäubung – ein großer Pluspunkt! Denn Sämlinge werden durch ihren vergleichsweise starken Duft sehr viel von Insekten besucht und somit bestäuben diese zahlreiche Kultursorten gleich mit. Die Urprünglichkeit der Sämlinge scheint dabei genetisch ein weites Spektrum zu erzeugen. Solange Kultursorte und Sämling etwa zeitgleich blühen, muss man sich da wohl keine Sorgen um geeignete Befruchtersorten machen. In unserem Garten steht eine einzige, kleine “Wildbirne” – ein Sämling vom Wildbereich, den ich vor Jahren gerettet und bei uns rein gesetzt hatte. Die Früchte sind klein und schmecken nicht, nicht mal als Dörrobst. Als Bestäuber sehe ich sie wiederum gern.
    Sämlinge haben selbst bei uns keine nennenswerten Probleme mit Wühlmäusen und Insekten, halten bei Wetterextremen ebenfalls um Längen besser als Kultursorten durch.
    Sämlinge sind von Haus aus gut angepasst, zumindest mit genügend Zeit im Standortboden. Allerdings tragen sie erst, wenn sie von Natur aus auch ohne Wassergaben dazu in der Lage sind, zuverlässig. Die Natur ist ja nicht blöd. So braucht man schon Geduld, spart aber über alle Lebensjahre des Baums hinweg viel Arbeit und Sorgen.
  2. Kultursorten,
    also das waren natürlich auch irgendwann mal Sämlinge! Jeder Sämling, der vom Menschen als Sorte anerkannt wird, gilt fortan als Kultursorte oder echte Sorte – ja, die Krone der Schöpfung hat wieder richtig was geleistet. Es tummeln sich auf der Welt davon unbeeindruckt unzählige Sorten, die nicht eingetragen sind und dennoch beste Qualitäten haben. Damit eine Sorte aber eingetragen und rechtlich geschützt ist, muss eine gewisse Anzahl vermehrt und angebaut werden, danach geht es zum Antrag (so mal die Kurzform soweit mir bekannt). Also da geht weder ein einfacher Gärtner heran noch ein Vogel, der nach dem freien Flug der Erleichterung zu einem neuen Sämling beiträgt, der später vielleicht als “Zufällssämling” entdeckt und zu einer neuen Kultursorte erhoben wird.
    Durch jahrelange bis jahrhuntertelange Vermehrung über Veredlung verlernt, so glaube ich, die Pflanze die natürliche Anpassung wie auch die Wurzelbildung. Jedenfalls bildeten in meinen Versuchen typische Kultursorten wie Aprikose Bergeron und Tellerpfirsich bisher keine Wurzeln, während robustere und wurzelechte Sorten wie Apfel von einer Streubobstwiese und die hier bekannte und geschätzte alte DDR-Bauernpflaume (Hauszwetschge, Prunus domestica ‘Węgierka zwykła’) schnell und zuverlässig Wurzeln bildeten. Wildobst wie die bereits genannte Kirschpflaume und wilde Pfirsiche (die mit den ganz kleinen Früchten) wurzeln erwartungsgemäß noch schneller, die kann ich im zeitigen Frühjahr direkt als Steckling in die Erde setzen, bisschen Mulch d’rüber und gut.
    Bei den Kultursorten haben wir dafür wiederum zuverlässige Eigenschaften wie Standortansprüche, Fruchtqualität und Blütezeit, Anfälligkeiten und Toleranzen gegenüber bestimmten Pilzen und Bakterien und “Schädlingen” aus der Tierwelt. Das ist für den modernen Anbau und Handel wichtig. Aber! Nur von professionellen Baumschulen mit zertifizierten Bäumen kannst du sicher sein was du hast, dass es gesund ist und auch welche Unterlage für die Veredlung genommen wurde. Nicht jede Unterlage ist für sandige oder lehmige Böden oder jeden PH-Wert geeignet. Besonders ärgerlich ist dies bei Aprikosen, die bekanntermaßen in der Erntezeit oftmals einbrechen. Dann ist vielleicht die oft genutzte Pflaumenunterlage wie “St. Julian A” im Spiel, die nach der Blüte hin zur Erntezeit laut Berichten bei der Aprikose Stress auslöst. In der DDR, so schreibt Herr Kruchem von hortensis.de , wurde die Wildaprikosensorte “Hinduka” als Unterlage genommen und tatsächlich stehen auch in Werder noch zahlreiche alte und soweit ich das sagen kann, zumindest auf der Insel auch gut tragende Aprikosenbäume.
  3. Kurzum: Hast du Platz, setze Wildobst. Ansonsten bist du wahrscheinlich auf Befruchtersorten angewiesen und musst bei Fehlen in der Nachbarschaft entsprechend selbst pflanzen.

Selbstfruchtbarkeit (Autofertilität)
Es sind gerade alte Sorten, die in puncto Bestäubung kräftig punkten. Denn durch ihre Selbstfruchtbarkeit benötigen sie in der Regel keine andere Sorte im Umfeld, damit Blüten bestäubt werden und Früchte entstehen. Der Bestäubungsvorgang kann dabei schon vor dem Aufgehen der Blüte erfolgen, geschieht also nicht nur von Blüte zu Blüte, sondern auch innerhalb derselben Blüte.
Mit einigem Grundwissen oder einem erfahrenen Gärtner in der Nähe kann auch in kleineren Gärten durchaus eine alte Sorte gepflanzt werden. Ich sehe es ja in vielen Kleingartenanlagen: Auskronen und alle 1-2 Jahre Rückschnitt, dabei reicht jährlicher Formschnitt auch bei alten Sorten – sogar wurzelechten, also nicht veredelten – eigentlich vollkommen aus.

Selbstunfruchtbarkeit (Autosterilität)
Neuere Züchtungen haben dieses Problem deutlich häufiger als ältere und es können verschiedene Faktoren, einzeln oder auch zusammen eine Rolle spielen.
Die zeitlich unterschiedliche Ausreifung der weiblichen und männliche Organe des Baumes, die räumlich recht nahe Anwesenheit geeigneter Befruchtersorten (oder wilde Bäume / Hecken, also Sämlinge) und natürlich das Vorhandensein von bestäubenden Insekten, allen voran Wildbienen und Honigbienen, tragen zusammen zum Erfolg bei.

Alternanz
Oben schon angesprochen, meint dieses Fachwort die jährlichen Schwankungen im Fruchtbehang eines Obstbaumes. Das ist ganz typisch für alte Sorten: Es biegen sich in einem Jahr buchstäblich die Äste voll von Früchten, im Folgejahr gibt es nur wenig zu ernten. Dieses Problem haben viele Neuzüchtungen nicht, was natürlich für sie spricht. Doch auch alte Sorten kannst du dahingegend “optimieren”: Jedes Jahr ein Ausdünnen der Fruchtansätze oder Jungfrüchte hilft für einen Jahr um Jahr gleichmäßigen Ertrag, vermeidet also die Alternanz. So bleibt auch der Baum stressfreier. Bei den üblichen Obstgattungen (Apfel, Birne, Kirsche, Pflaume, Pfirsich und Aprikose) sollte etwa pro Handbreite eine Frucht stehen bleiben, soweit ich weiß. Und natürlich ist der genannte Form- und Rückschnitt ebenfalls relevant, so kann man gezielt Fruchtholz bilden lassen oder eher vegetative Triebe fördern.
Alternanz hat an sich keinen großen Einfluss auf die Bestäubungsquote, es sei denn, in einem Jahr sind sehr wenige Blüten an einem Baum, der Bestäuber für einen anderen ist. Doch meines Wissens wirkt sich Alternanz eher auf die Fruchtbildung und nicht auf die Blütenbildung aus.

Spätfrost
Das ist wohl dem meisten Menschen, neben dem Problem der fehlenden Bienen, der wichtigste bekannte Negativfaktor. Späte Fröste gefährden nicht nur die Blüten und den jungen Fruchtansatz am vorjährigen Holz an Kern- und Steinobst. Bei am einjährigen Holz tragenden Obst wie Feigen und Wein können späte Fröste die Ernte durch Rückfrieren ganzer Triebe ebenfalls empfindlich  einbrechen lassen.
Außerdem fliegen bei zu tiefen Temperaturen auch keine Insekten, so dass selbst ohne Frost und/oder wenn die Blüten nicht durch den Kälteeinbruch absterben, diese nicht befruchtet werden. Denn eine Blüte zeigt ihre Schönheit nur wenige Tage, dann wird sie unbefruchtet abgeworfen.
Dabei muss jedoch selbst bei Spätfrost nicht zwingend alles verloren sein. Neben der Sortenwahl gibt es noch einen für mich recht neuen und nicht unwichtigen Faktor: Wann blüht es wo am Baum?

Langtriebe und Kurztriebe
Auch der korrekte Form- und Rückschnitt kann die Bestäubungsquote beeinflussen. Der Blütezeitpunkt liegt bei Kurztrieben vor den Langtrieben und an denen blüht es laut Fachliteratur an den Spitzen zuletzt, beginnt also unten. Von meiner Beobachtung her an Kirschpflaume, Marille und Pfirsich kann ich das bestätigen. Die Steuerung der Blütezeit erfolgt neben Hormonen (Lang- oder Kurztrieb) eventuell auch durch die Temperatur, die bodennah durch Reflektion des Sonnenlichts und wenig Abkühlung durch Wind höher ist als hin zur Spitze des Baums. Da wie geschrieben jede Blüte nur wenige Tage am Baum verbleibt, kann durch gezielten Rückschnitt ein Gleichgewicht zwischen Langtrieben und Kurztrieben erreicht und somit das Zeitfenster für die Blüte vergrößert werden. Bricht nun ein Frost herein, ist mit ein wenig Glück nur ein Teil der Ernte verloren.

Sortenwahl
Beispiel: Exponierte Lage und Steinobst: Pfirsich “Amsden” und Aprikose “Wilson Delicious” haben größere Chancen als viele der üblichen Sorten, die für Hausgärten empfohlen werden.
Jeder Standort hat seine Eigenarten und eine Auflistung geeigneter Sorten für alle möglichen Standorte würde zu viel Platz einnehmen. Allgemein sind wichtige Faktoren: Wind, Sonnenlichteinfall, PH-Wert und Struktur im Boden. Ich empfehle dir Beratung über Fachliteratur sowie Gespräche mit erfahrenen Muckern und Gärtnern vor Ort.

Befruchtersorten finden
Schlage zum Beispiel online in entsprechenden Seiten nach – Stichworte können dabei sein: “Obst Apfel <Sorte> Befruchter” Für <Sorte> trägst du dann die gesuchte Sorte ein, die befruchtet werden soll. Oder besorge dir geeignete Literatur. Der Austausch mit erfahrenen Gärtnern und Muckern ist auch immer wertvoll.

Wildbienen unterstützen
Das schönste kommt am Schluss! Es ist macht unglaublich viel Freude, den emsigen Bienen bei ihren Besuchen auf den Obstbäumen zuzuschauen, es erfüllt mich mit einem tiefen Gefühl von Glück, Harmonie und Urvertrauen.
Wildbienen gibt es in zahlreichen Arten (europaweit über 500) und diese haben unterschiedliche Ansprüche an Nistplatz und Pollen, jeweils andere Flugzeiten und so weiter. Für die Futterpflanzen gilt als Faustregel für mich: Vielfalt bringt viel, dabei kombiniere ich Bäume, Sträucher, Stauden und einjährige Blühpflanzen. Was gedeihnt, kommt auf den Standort an und zum Glück ist die Auswahl riesig. Wilde Ecken mit Totholz, Steinen und verholzten Pflanzenstengel passen wie eine kleine, nicht behaarkte Ecke für Hummelnester in wirklich JEDEN auch kleinen Garten und kompakte Insektenhotels sogar auf den Balkon.
Dass keine Insektizide verspritzt werden sollten, muss ich sicher nicht betonen.
Wer diese recht einfachen Tipps beherzigt, wird mit fleißigen Wildbienen belohnt, die auch dann Obstbäume bestäuben, wenn es der Honigbiene zu kalt ist. Und wer Brennnesseln, Rainfarn, Disteln und andere Wildpflanzen stehen lässt, kann sich an Tagfpauenauge und anderen Schmetterlingen erfreuen. Übrigens noch ein Tipp zum Fallobst: nicht gleich wegräumen, dann kommt der wunderschöne Trauermantel (auch ein Tagfalter) auch daher. Wilde Disteln ziehen nicht nur den ebenso schönen Distelfalter an, sondern auch die kleinen bunten Distelfinken oder Stieglitze, die einen mit ihrem glockenklaren Gesang verzaubern.

Notfallmaßnahme – wenn es schnell gehen muss!
Okay, einen hab ich noch. Es kann ja immer sein, dass trotz Vorsorge und umgesetzter Naturliebe ein wichtiger Faktor plötzlich wegbricht und somit die Befruchtung gefährdet ist. Nachbars Baum bekam einen starken Rückschnitt, das Insektenhotel wurde von Ameisen überrannt oder sonst was kann unvorgesehen passieren.
Schneide von einem anderen, zur selben Zeit blühenden Obstbaum einige Zweige mit Blütenbesatz ab und hänge diese, eingesetzt in eine wasserbefüllt Flasche, (halb)schattig in deinen Baum. So halten die Blüten einige Tage und diese Notfallmaßnahme kann Früchte retten :). Die Bienen machen den Rest. Habe das selbst noch nicht probiert, doch Weidenkätzchen in der Vase gelingen ja auch und am Boden liegende, ausgerissene Ringelblumen lockten noch einen Tag später Hummeln an.

Ich hoffe, mein Beitrag hilft dir bei deinem Naturprojekt und wünsche dir viel Freude und Erfolg!

Linktipp:
Wildbienenarten auf deutschland-summt.de

Buchtipps:
Wildbienen – Die anderen Bienen von Paul Westtrich
Mein Bienengarten von Elke Schwarzer