16. September 2021 - zuletzt aktualisiert am 14. Dezember 2021 Von Chris G. 0

Vorgestellt: ‘Werder-Dattelzwetsche’ (auch Dattel-Zwetschge)

Wer in Werder und Umgebung wandert, dem fallen früher oder später verschiedene Bestände von niedrig und strauchig wachsenden Obstbäumen mit dunkelblauen bis violetten Pflaumen, genauer Zwetschen auf (alt. Schreibweise: “Zwetschgen”) .
Einige stehen angrenzend an Gartengrundstücken, andere gedeihen völlig auf sich gestellt an Feldrändern und Wegen. Selbst in trockenen und heißen Sommern (2018), aber auch bei nass-kühlem Wetter wie in diesem Jahr (2021) beschenken uns diese anspruchslosen Obstbäume jedes Jahr reichlich.

Als Verweis auf alte Pflaumensorten fand ich die Violette Dattelzwetsche, die einst über Ungarn auch nach Deutschland kam und lange Zeit angebaut wurde. In unserer Gegend gibt es sie noch und sie scheint den veränderten, heute teils extremen Wetterbedingungen bis zum Zeitpunkt dieses Beitrags hervorragend zu trotzen. Hier spielen sicherlich lokale Anpassungen in über 150 Jahren Jahren eine bedeutende Rolle, da auf einigen Webseiten vom Verlust der sicheren Erträge der ursprünglichen Sorte die Rede ist. Bei den von mir entdeckten Beständen der Dattelzwetsche in Werder und Umgebung muss es sich also um angepasste Lokalsorten, teils mit verschiedenen Einkreuzungen handeln.

Mit diesem Steckbrief für die ‘Werder-Dattelzwetsche’, wie ich sie nenne, will ich meine Mitmenschen dazu ermuntern, abseits der üblichen Sorten aus dem Handel mit offenen Augen in die Natur zu blicken. Dort warten Schätze darauf, für den eigenen Garten und die Küche entdeckt zu werden.

Fotos von einem Bestand in 2021

Reichlicher Fruchtbehang Jahr für Jahr

Zwetsche, reife Früchte im August

Mit 30-35 Fruchtlänge bei einem Gewicht von ca. 15 Gramm sind die Früchter eher klein für Zwetschen. Die Anzahl und der geringe Madenbefall machen das wiederum wett.

Die typische Wuchsform der ‘Werder-Dattelzwetsche’ ist hier trotz Rückschnitt gut zu erkennen: breit ausladend und etwas sparrig.

Steckbrief: ‘Werder-Dattelzwetsche’

Herkunft

Diese wertvolle, alte Zwetsche aus Werder entdeckte ich vor etwa 10 Jahren zum ersten Mal, bei Wanderungen durch Feld und Flur. Vor etwa einem Jahr fand ich bei der Suche nach “Werder Zwetsche Wildwuchs” Verweise zu alten “Dattelzwetschen”.

    • vermutlich als “Violette Dattelzwetsche” oder “Ungarische Zwetsche” in der Zeit des Preussischen Staates eingeführt und eventuell durch Einkreuzung(en) immer wieder angepasst, teils auch verwildert
  •  Pflanze
    • anspruchsarm, auch als Pionierpflanze, Windschutz- und Wildobsthecke
    • für schwere und leichte Böden und selbst teils verdichtete, wie ich bemerkte
    • Wuchsform breit ausladend, strauchig und leicht sparrig, bis ca. 5m breit und 3,5m hoch
    • Zuwachs:
      • solitär ca. 15-35cm / Jahr, anfangs eher langsam
      • Wurzelausläufer schon ab Start mit bis zu ca. 30 cm im ersten Jahr
    • wurzelt schnell und tief (wichtig bei Aufzucht im Topf, als Container) und mit den Ausläufern auch breit
    • sehr gesund und robust in Trieb, Blatt, Wurzel, Blüte und Frucht
    • Wühlmausfraß wird gut weg gesteckt
    • Rückschnitt wird gut vertragen und es kann sowohl eine eher typische Obstbaum-Form, als auch ein sehr strauchiger Wuchs erzielt werden
    • Vermehrung
      • Wurzelschösslinge (sortenecht, da wurzelecht) -> bildet über Ausläufer mit den Jahren zahreiche Ausläufer bis zu einigen Metern Entfernung, die abgestochen und leicht weiter bewurzelt werden können. Siehe Hinweis oben, Ausläufer wachsen rasant.
      • Stecklinge (sortenecht)
      • Abmoosen (sortenecht, Aufwand lohnt sich wegen der leichten Bewurzelung der Stecklinge und der zahlreichen Ausläufer kaum)
      • Kerne (nicht sortenecht, aber da recht sortenfest, lohnt sich das Aussähen durchaus für Wildobst- und Windschutzhecken) -> Keimrate liegt deutlich unter der von Kirschpflaumen, aber höher als bei Pfirsichen
      • bildet mit der Zeit von allein dichte, zusammen hängende Bestände
  • Blüte
    • geringe Empfindlichkeit der Blüte gegenüber Trockenheit, Nässe, Spätfröste
    • Spätfröste: kurze Intervalle mit -10C°April und Anfang Mai wie lange, wieder kehrende mittelstarke Fröste mit Schneefall Mitte Mai hielten die Pflanzen bisher nicht von fettem und gesundem Fruchtbehang ab
    • Bestäubung: keine Information vorliegend, ob selbst bestäubend, daher andere Exemplare der “Sorte” oder andere (Wild-)Pflaumen in Reichweite sicher sinnvoll
  • Früchte
    • in der Reife dunkelblau bis violett gefärbt, bereift
    • ca. 30-35mm lang
    • die lang gezogene, oft leicht sichelförmige Form erinnert an Datteln (daher “Dattelzwetsche), wobei in niederschlagreichen Jahren die Form eher voller ist
    • Geschmack ist würzig-säuerlich mit angenehmer Süße
    • relativ wenig Saft im Vergleich zu Kulturzwetschen
    • dafür wenig Madenbefall
    • spitzer, schmaler und flacher Kern der leicht löst, wenn Frucht reif
    • Kern ist proportional gesehen nicht größer als bei Kultursorten
    • Geschmack in heißen und trockenen, und in nass-kühlen Sommern annähernd gleich gut (!)
    • Reifezeit Mitte Juli bis Ende August, Haupternte Mitte August
  • Verwendung:
    • frisch zum direkten Verzehr
    • einige Tage gekühlt lagerfähig
    • zum Backen
    • zum Einwecken
    • für Marmelade und Pflaumenmuß
    • hervorragend als Dörrobst
  • Varietäten
    • Die hier in Fotos gezeigten Pflanzen stammen von Beständen, die an Gartengrundstücke grenzen, sowie von der Nähe stehenden Wildhecken an Straßen und Feldrändern.
    • Eine Varietät fand ich an einem Feldrand einige Kilometer entfernt, mit viel größeren Blättern und Früchten, die saftiger und süßer sind, leider aber auch sehr viel mehr Befall durch Maden aufweisen. Der Verlust ist derart hoch, dass ich eine Vermehrung ausschließlich bei Anwendung von geeigneteten Spitzmitteln oder für Wildtiere in Betracht ziehen würde. Auch diese Pflanzen bilden Ausläufer, doch weniger als die “kleinen Verwandten”. Hier wird wohl eine Einkreuzung mit einer Kulturpflaume vorliegen. Die Pflanzen selbst weisen wiederum eine Wuchsform nahezu identisch mit der hier besprochenen Form auf.
    • Zwei Exemplare hatte ich vor Jahren bei einer Wanderung durch die Parforceheide (östlich von Potsdam), aus erbärmlich kargem Sandboden ausgegraben. Sowohl diese als auch die Pflanzen aus Werder / Glindow gedeihen auf unserem mittelschwerem Lehm-Sand-Boden mit mäßig Humusanteil sehr gut.
    • Auf einer Wanderung, hinter dem westlich von Werder gelegenen Örtchen Derwitz, fand ich einige Dattelzwetschen-Bestände an einer Feldflur, solche wie hier abgebildet und auch offenkundige Sämlinge, mit etwas kleineren Früchten und weniger Fruchtbehang. Einige Pflanzen trugen Früchte mit deutlicherer Ausprägung der Dattelform als unsere, bei sonst nahezu identischen Eigenschaften in Größe, Farbe und Geschmack.

Fehlentwicklungen korrigieren

Fallobst das verdirbt
Zu schade, das trotz meiner Eintragungen auf mundraub.org immer noch so viele Früchte liegen bleiben. So viel kann ich beim besten Willen nicht verarbeiten. Es geht den meisten Leuten wohl noch zu gut. Mich macht eine solche Vergeudung traurig. Als ich einmal erntete, kamen Wanderer vorbei, sahen mich und fingen dann auch, für sich was zu pflücken. Wahrschneinlich ist hierzulande immer noch oft so ein “das darfst du nicht”-Schild in den Köpfen aktiv. Ich lebe heute eher nach dem Prinzip “ohne Verbotschild ist es erlaubt”, was ich mir, entgegen der Konditionierung aus der DDR-Zeit, allerdings auch hart erarbeiten musste.

Alte Sorten retten und neue schaffen
Mit fragwürdigen, modernen Anforderungen an “große und einheitliche Früchte” wurden schon viele alte, gute Sorten aus Sortiment und Anbau verdrängt. Gott sei Dank gibt uns “kleine” Gärtner!
Im Hinblick auf Wetterextreme, steigende Preise für Benzin, Ersatzteile und Pflanzenschutzmittel halte ich das für eine weitere, fatale Fehlentwicklung, die wir hier und jetzt korrigieren können und sollten. Im eigenen Garten pflanze ich zum Beispiel angepasste Lokalsorten und vermehre selbst wo ich nur kann, diese und “eingebürgerte” Sorten auch über Samen weiter. Weg mit öden Rasenflächen! Platz ist immer da, man muss nur wollen. Nicht zuletzt die kommende Generation wird sehr dankbar dafür sein.
Ich selbst bin ein Fan von Wildobst und immer wieder begeistert, wie anpassungsfähig natürliche und ausgewilderte Bestände sind. Dabei denke ich auch an in diesem Sommer gefundene Mirabellensämlinge, deren Eltern meiner Einschätzung nach eine nur wenige Meter entfernte Mirabelle “von Nancy” sowie eine etwas weiter weg stehende, gelbe Kirschpflaume sein könnten. Die etwas kleinere, aber sehr leckere Frucht und die schon jetzt sichtbaren Wurzelausläufer weisen jedenfalls darauf hin.

Weitere Information zur Dattelzwetsche

“Die Dattelzwetschge, auch Ungarische Zwetsche, Türkische Zwetsche, Österreichische Pflaume, Säbelpflaume, Rösser genannt, ist eine der zahlreichen Zwetschgensorten. Vom Landesverband für Obstbau, Garten und Landschaft Baden-Württemberg wurde die Dattelzwetschge 2003 zur Streuobstsorte des Jahres ernannt, um auf den Rückgang dieser Kulturpflanze aufmerksam zu machen. Sie war einst in ganz Mitteleuropa häufig zu finden, ist jedoch heute stark rückläufig, da die Früchte für den kommerziellen Handel zu klein sind. Im Raum Tübingen wird sie jedoch noch immer auf den Obstmärkten angeboten.
Die Dattelzwetschge zählt zu den alten Zwetschgensorten. Sie wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts in der “Pomona Franconica” beschrieben und stammt wahrscheinlich aus Ungarn oder der Türkei. Von der Sorte scheint es unterschiedliche Ausprägungen zu geben. Die Violette und die Rote Dattelzwetschge gleichen sich in ihrer Form, sie unterscheiden sich jedoch etwas durch die Fruchtfarbe und ihre Reifezeit. Die im August reifenden Früchte sind saftig und aromatisch süß. Der Zuckergehalt liegt bei 16 % (60–70 Grad Öchsle).
Der robuste Baum eignet sich für den Streuobstanbau. Eine Besonderheit ist, dass wurzelechte Bäume gerne viele Ausläufer bilden, so dass ganze Zwetschgenhecken entstehen können.”
https://de.wikipedia.org/wiki/Dattelzwetschge

Weitere externe Verweise auf die Dattelzwetsche

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